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...Fortsetzung:   Dr. Andrea Goesch,   Malerei - Objekte - Plastiken

Wie ein Seismograph registriert Christa-Louise Riedel gesellschaftliche Tendenzen und politische Entwicklungen und setzt sie künstlerisch um. Ihre Tätigkeit versteht die Künstlerin nicht als ästhetischen Selbstzweck im Sinn von "L'Art pour L'Art" sondern als Teil ihres sozialen Engagements. Ihr Ziel ist es, im Bewußtsein des Betrachters etwas zu bewegen, seine Wahrnehmungsfähigkeit zu schärfen und Denkanstöße zu geben. Riedels Suche nach neuen Audrucksformen  ist rastlos und geschieht aus innerer Notwendigkeit. Ihr Schaffen ist geprägt von kreativen Phasen, in denen sie die hereinströmende Ideenflut verarbeitet und ein Maximum an Produktivität erreicht. Dazwischen liegen Zeiträume der Kontemplation, nach denen es nicht selten zu stilistischen Brüchen kommt. Betrachtet man des Oevre über einen längeren Zeitraum, fällt jedoch auf, dass ein festes Repertoire an Leitthemen und -motiven wie ein roter Faden durch das gesamte Werk läuft. Beispielsweise der Kopf als Zentrum der menschlichen Ratio, der in unterschiedlicher Form in allen schöpferischen Phasen zu finden ist. In ihrer Themenwahl kreist die Künstlerin immer wieder um die existentiellen Dinge des Lebens: Werden und Vergehen, Tod und Geburt, das Leben in der Gemeinschaft sowie die Nöte und Ängste des Menschen.

Neue Wege beschreitet Christa-Louise Riedel in ihren figürlich-abstrakten Edelstahlplastiken, die zwischen 1997 und 2001 entstanden. Verschiedenen Materialien werden miteinander kombiniert, beispielsweise in "Einsamkeit" (Stahl/Terrakotta, 1998). Eine zur Trauer gebeugte Terrakotta-Figur am Fuße einer Metallspirale, stellt hier den Abschied eines aus dem Leben scheidenden Menschen dar. Die feingliedrige elektopolierte Edelstahlplastik "Nephtys und Isis" (2000) beschäftigt sich mit der ägyptischen Mythologie. Beide Figuren, die als Schutzgöttinnen verehrt wurden, sind spiegelbildlich dargestellt. Ihre Hände berühren sich genau an dem Punkt, durch den die Achse läuft, auch "Nut" (1997) zeigt eine altägyptische Himmelsgöttin. In die Serie der Edelstahlplastiken gehören ebenfalls der "Philosoph" (2000) sowie die "Freiheit II" (1998).

Eine enorme stilistische Vielfalt charakterisiert die aktuelle Schaffensphase Riedels. Ihren Materialfundus erweiterte die Künstlerin um hauchdünnes Japanpapier und handgeschöpftes Afrikapapier aus Elefantendung. Beide Materialien werden handwerklich bearbeitet und in Objektbildern zu Reliefs zusammengefügt. Die rauhe Oberflächenbeschaffenheit des Afrikapapiers verleiht den Arbeiten einen naturnahen Charakter und kontrastiert mit feinen Linienstrukturen. Es entstehen Objekte, die fast freischwebend auf einem mit Acrylfarben und Pigmenten vorbereiteten Untergrund apliziert und gemalt werden. In den neueren Arbeiten dominieren Gelb, Orange, Grün und Blau. Inspiriert wurde Riedel unter anderem von ihren Aufenthalten in der Bretagne, wo das Licht und dadurch entstehenden intensiven Farben auch in der Landschaft starke Eindrücke in ihr hinterlassen haben. In ihrem französischen Atelier entstand auch das "Feuerwerk" (Acryl auf Afrikapapier, 2000), dessen sprühende Farben sich auf der dunklen See reflektieren.

In ihrer Oberflächenstruktur erinnern verschiedene Arbeiten auf Afrikapapier an antike Fresken, deren obere Schichten abgeblättert sind und ältere Strukturen offenbaren mehrere Farbschichten liegen übereinander, überschneiden sich oder schimmern durch. Mit Hilfe dieser Technik bringt die Künstlerin Faktoren wie "Zeit" und "Veränderung" in ihr Werk. In einer Serie legt sie gitterförmige Farbraster über diese Sujets. Motive und Strukturen der unteren Schichten sind nur noch schemenhaft erkennbar. In diese Phase gehört auch eine Reihe von Köpfen mit maskenhaft anmutenden Gesichtern wie zum Beispiel der starr hereinblickende "Philosoph" (2000). In weiteren Acrylarbeiten auf Afrikapapier dominiert die Abstraktion auf rotem und blauem Untergrund baut die Künstlerin in mehreren Schichten ein kaligraphisch anmutendes Liniengewirr auf. Aus dem vermeintlichen Chaos kristallisieren sich bei genauer Betrachtung Konturen von Gestalten und Gesichter heraus. Der Reiz dieser zurückgehaltenen Figürlichkeit liegt darin, dass der Betrachter oftmals nicht genau weiß, ob die von ihm entdeckte Gestalt eine Assoziation seiner Phantasie ist oder von der Künstlerin inszeniert wurde. Seine Wahrnehmung wird so auf fast spielerische Weise geschärft. Die ersten Arbeiten dieser Art tragen noch figürliche Elemente. Später lösen sich diese jedoch zunehmend auf und nehmen in den Arbeiten "Füllen"(2000) und "Bewegung"(2000) informellen Charakter an. Ein immer wiederkehrendes Motiv sind die Menschenketten. In "Schiff des Lebens" (Acryl auf Afrikapapier, 2000) laufen Figuren ohne festen Boden unter den Füßen in eine Richtung. Der Moment der Bewegung wird malerisch durch Linien, Einritzungen und Verwischungen dargestellt. Das Leben als Wettlauf, als Suche nach der verlorenen Zeit. In Reih' und Glied wirken die Figuren auf den ersten Blick wie eine abstrakte Skriptur und erinnern ein wenig an den linearen Bildaufbau der altägyptischen Kunst. Erst bei genauem Hinsehen erkennt man ihre individuellen Züge. Ähnlich wie auch im "Sturm" (Acryl auf Papier, 1999) oder in "Menschliche Komödie I" (Tinte auf Papier, 2000) laufen sie auch hier wie Zeilen eines Buches in horizontalen Bahnen über das gesamte Bild. Das Symbol der Menschenkette dient der Künstlerin dazu, das starre Ordungssystem gesellschaftlicher Strukturen aufzuzeigen.

In "Eruption" (Mischtechnik, 2000), "Le Cycle" (Mischtechnik auf Holz, 1999) und anderen Bildobjekten zeichnet Riedel ein Bild von einer Welt, die von Rotation und Ruhelosigkeit gezeichnet ist. Es ist eine Welt, in der das Individuum nur schwer seinen inneren Frieden findet und im Sog der grauen Masse unterzugehen droht. Das Leben auf der Erde gleicht einem Tanz auf dem Vulkan. Riedel malt sie als reliefartigen Feuerball, der vor herumirrenden Figuren und Chiffren dicht bevölkert ist. Als Spiegelbilder unserer Zeit versteht Christa-Louise Riedel ihre Arbeiten. Die permanente Überflutung von Reizen und Eindrücken, die unser schnellebiges digitales Zeitalter prägen, führen nach Auffassung der Künstlerin zu einer Veränderung der menschlichen Wahrnehmung. Viele Dinge werden nur noch oberflächlich registriert. Dieses Phänomen bringt die Künstlerin in fragmentären Köpfen und Figuren zum Ausdruck. Der schichtweise Aufbau der Bilder deutet ebenfalls die Überlagerung von Informationen an, bei der Details oft gar nicht mehr oder nur rudimentär wahrgenommen werden.

Neben diesen Arbeiten auf Papier entstanden mehrteilige Acrylzeichnungen auf Holz, Collagen aus hauchdünnem Japanpapier sowie Wandobjekte aus Mischmaterialien, wie Stahl und Holz. Hierzu gehört auch eine Reihe geometrisch reduzierter Bilder und Objekte, die von monochromen Farbflächen dominiert werden. Sie sind auf Grundformen wie Linie, Rechteck und Kreis reduziert. Hierzu gehört beispielsweise "Neith" (Acryl auf Afrikapapier 2000) oder "Landschaft" (2000) sowie diverse bemalte Wandobjekte auf Holz.

Eine umfangreiche Serie graphischer Arbeiten (2000/2001) tragen eine leichte spielerische Handschrift. Mit feinem Goldstift werden Illusionen, Träume und Gedanken auf Tonpapier festgehalten. Ähnlich der "Écriture automatique" der Surrealisten werden Formen und Figuren in fließenden Bewegungen spontan aufs Papier gebracht. Sie entstehen aus dem Unbewußten heraus und tragen märchenhafte Züge. Gezeigt werden Tier- und Fabelwesen sowie menschliche Figuren, die sich tänzerisch bewegen. Eine Fülle an feinen Bewegungen, Bögen und Schraffuren lassen die Sujets leicht und zerbrechlich erscheinen. Unter den gemalten Figuren befindet sich auch ein "Superwesen" ähnlich einem Tausendfüßler mit Flügeln und Antennen - eine Allegorie auf die heutige Zeit, die von Multifunktionalität und Alleskönnertum geprägt ist.

Zu den jüngsten Arbeiten Christa-Louise Riedels zählen eine Serie großformatiger Bilder, zum Teil auf beschichteter Baumwolle, den "Coils", die ähnlich ihren ostasiatischen Vorbildern aufrollbar und doppelseitig bemalt sind. In ihrem Mittelpunkt steht der Kosmos. Strukturen werden als große Netzwerke aus farbigen Linien auf schwarzem Hintergrund dargestellt, die über Knotenpunkte miteinander verbunden sind. Es sind kosmologisch orientierte Form- und Farbkonstellationen, welche Wahrnehmungen innerhalb des Seelischen, des Bewußtseinsmäßigen und des Geistigen im Menschen spiegeln. Sie sind eine Verlebendigung der Gedanken oder eine Reise zu einer noch besseren Erkenntnis.