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...Fortsetzung:
Helga
Köbler-Stählin, Retrospektive
1983-2009
Diese
gibt es in unserem Leben genug. Hier soll der Betrachter eigene Ideen
freisetzen, hier soll er eigene Erfahrung einbringen. Der französische Künstler
Robert Fillou beschrieb das einmal so: „Was immer ich sage ist
bedeutungslos, wenn es nicht anregt, meine Ansichten durch eigene zu ergänzen.“
Bereits
in den frühen 80er Jahren gestaltet Christa Luise Bildnisplastiken, die
die Stofflichkeit des Menschen naturalistisch wiedergeben. (Kinderkopf
1983) Doch anders, als beispielsweise bei den Porträtkünstlern früherer
Epochen, bezieht sich die in Frankenthal lebende Künstlerin schon hier
auf eine überzeitliche Darstellung. Sie offenbart weder die
gesellschaftliche Charakterisierung, noch erhebt sie Anspruch auf
anatomische Genauigkeit. Vielmehr zeichnet sich der Wunsch ab, dem
Menschen in seinem Lebensraum und seiner Zeit eine zentrale Rolle in ihrer
Kunst zu geben. In vielfältigen Formen wird sie sich im Laufe ihres
Schaffens mit ihm beschäftigen.
Wie
mit dem Portrait oder dem Mensch-an-sich, befasst sich Christa Luise
Riedel seit Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit mit dem Werkstoff Ton.
Dieses Naturmaterial, das vor mehr als 10 000 Jahren für schöpferisches
Werden eingesetzt wurde, fand in allen Kulturen seinen Platz. Der
Werkstoff, der sich mit der Wärme der Hände formen lässt und gleichsam
für einen Akt der Schöpfung steht, vergegenwärtigt im gleichen
Augenblick das Thema Zerfall und Tod. Man erinnere sich an die
Votivfiguren der Antike, die in Heiligtümern und Grabbeilagen den Moment
des Sinnlichen darstellen oder an die tönernen Wächter für die
unterirdische Grablege des chinesischen Kaisers Shi Huangadi, der damit
seinen Status für die Ewigkeit festschreiben ließ.
Betrachtet
man „Le Cycle“, eine Arbeit aus dem Jahr 1999, erfährt man Christa
Luise Riedels zeitgenössische Antwort auf das Thema Werden und Vergehen
gleichbedeutend als Entfremdung des Menschen von der Natur. Die rote, brüchig
erscheinende Keramik hat Christa Luise Riedel zu einem Kreis geformt. Ein
innerer und ein äußerer Ring halten das Material an seinem Ort. Der
Kreis ruht still. Im Zentrum stehen zwei Figuren, die sich einander
zuwenden und lebhaft auszutauschen scheinen. Hier fällt dem genauen
Beobachter auf, dass die Künstlerin bereits die Abstraktion in der figürlichen
Darstellung einsetzt. Als Bildformat hat sie das Quadrat gewählt. Es ist
mit schwarzem Sand behaftet. Mit mehreren Symbolen zugleich, nähert sich
die Arbeit dem aufmerksamen Betrachter. Der Titel, le Cycle - der Zyklus,
gibt den ersten Hinweis. Hinzu kommt der Kreis als Sinnbild für den
Kreislauf des Lebens, für das Vollkommene und in der christlichen Deutung
ein Siegeszeichen über den Tod. „Und Gott der Herr nahm den Menschen
und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaue und bewahre“,
steht im 1. Buch Mose 2: 15-17, und Christa Luise Riedel zeigt uns subtil,
wie es um unsere Landschaften bestellt ist. Das Quadrat als Zeichen der
Erde. Die schwarzen Sandkörner deuten auf Eruptions- und Industriestaub,
Niedergang und letztendlich Verderb. Den augenscheinlichen Ausgang der
Geschichte lässt sie offen. Doch an ihrem Hinweis besteht kein Zweifel:
Die ganze Hoffnung diesen „Garten“ zu erhalten ruht auf uns Menschen.
Ein
Paradies für die Künstlerin selbst ist das kleine und alte Portugal,
wohin sie sich immer wieder zu Arbeitsaufenthalten zurückzieht. Die 800
Kilometer lange Atlantikküste übt auf jeden der das Land kennt, eine große
Anziehungskraft aus. Ebenso reizvoll sind die Hügel und Berge mit ihrer
erstaunlich artenreichen Vegetation. Was so pittoresk erscheint, ist von
der globalen Erderwärmung bedroht, die immer häufiger Dürren, Überschwemmungen
und Brände im Süden Europas und der iberischen Halbinsel auslöst.
Christa Luise Riedel sieht auch hier die Zeitzeichen und hält ihre Finger
in die Wunde. Die „sich auflösende schiefe Ebene“, ein nüchternes,
schwarzes Kunststoffgefecht, welches durch Acrylglas vermeintlichen Schutz
erhält, zeigt, dass ohne Bedacht und Einhalt unser Lebensraum
unausweichlich in seinem Vergehen endet. Ihr Gespür für die Regungen der
Natur sind dabei äußerst sensibel. Die Erdenbürgerin, die Frau, die
Mutter, wirft Grundfragen auf, empört sich und fordert gleichzeitig
Besonnenheit für kommende Generationen ein.
Dann
die andere Christa Luise Riedel: Die Malerin, die das Licht, das Meer
sieht, dazu die große Freiheit, sich aus dem Fundus der Kunstgeschichte
zu bedienen. Bei einem Streifzug durch die Welt der Farben und Linien
wendet sich die Künstlerin in diesen Arbeiten dem Konstruktivismus zu,
dessen geometrisch abstrakte Formen Gestaltungsprinzip sind. „Das
Geistige soll automatisch, ohne Auseinandersetzung auf die Leinwand
gebracht werden“, war das Credo von Barnett Newman, der in den 1960er
Jahren fragte: „Who is afraid of red, yellow, blue?“ Auch die
Frankenthalerin setzt sich mit dieser Frage auseinander und bedient sie
sich in ihren Farbtafeln zweierlei Dingen: Der Reduktion der natürlichen
Abbildung auf das absolut Wesentliche und der Psychologie der Farben. Während
Gelb, Rot, Orange im allgemeinen als warme Farben bezeichnet werden, mag
auch heute noch mancher Skeptiker die physischen oder emotionalen
Erlebnisse in Frage stellen. Versuche hingeben ergaben, dass Personen, die
sich in einem rotorange gestrichen Raum aufhielten, das Kältegefühl um
drei bis vier Grad später erlebten als Personen, die sich innerhalb
blaugrün gestrichenen Wänden befanden. Rotorange regt die Aktivierung
also an, während Blaugrün den Impuls der Zirkulation dämpft. In „Momentos
I“ ebnet Christa Luise Riedel, wie es ihre Vorgänger bereits ab dem frühen
20. Jahrhundert taten, den Weg zur Transzendenz und entfesselt das
Unbewusste. Dort ist die Verführbarkeit durch Farben ebenso zu spüren,
wie in den Bildern „Homenagem Ăo Mar“ I und II, die im Jahr 2006
entstanden.
Zwischen
Stille und Kontemplation, Erregungen und Leidenschaften bewegt sich
Christa Luise Riedel ebenso, wie zwischen Stilen, Formen und Materialien,
als sei Kunst ein Raum durch den man flaniert. Es ist ein Zeichen der
Neugierde mit der sie das Davor, das Dahinter, das Woher und das Womit
erfragt und letztlich in ihre künstlerische Gestaltung einbezieht.
Waren
es in früheren Jahren Ton und Keramikskulpturen, Arbeiten auf Papier oder
Leinwänden, Plastiken aus Edelstahl, so weitet die Künstlerin ihr
Arbeitssphäre immer weiter aus. Nach „Gravitationen“ (2000) oder
„Farbkonstellationen“ (2001) skizziert Christa Luise Riedel heute mit
ihrem schwungvollem Duktus beispielsweise großen Fläche voller Chiffren,
die sie dann mit einem rot-brodelnden Dreieck unterbricht. Ein neuer
Kosmos scheint geschaffen. Der Stoff, aus dem die Welt gemacht ist
verdichtet sich in einem Geflecht von Linien, Flecken und Energiebündeln.
Auch in den neuesten Arbeiten „Ring Nebula“ (2008) fügt die Künstlerin
das Weltall und die planetarischen Nebel als weitere Einheit in ihr
Werkschaffen ein.
Wie
das Weltall, so scheint auch das Spannungsfeld von Christa Luise Riedel an
keine Grenzen zu stoßen. Feine Schriftzeichen (Intersectionen 2008),
sanft und gleichzeitig wie eine schwungvolle Kalligrafie, füllen möglicherweise
Notate auf Tagebuchblättern. Sie können aber auch Chiffren eines
kommunikativen Codes sein oder persönliche Skizzen, die Subjektives und
Privates erzählen. Wieder sind es Energiefelder und Ruhepole zugleich,
mal in Mischtechnik auf Baumwolle oder als Bronzeplastiken die so ohne
Eile sind wie ein schöner Traum.
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