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...Fortsetzung: Marius Winzeler, Ausstellung Zgorzelec

Ungebändigt scheint ihre Lust, sich mit unbekanntem Material, ungewöhnlichen Techniken und Formen zu befassen. Unermüdlich ist die Schaffenskraft, ohne Grenzen die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen. Immer wieder werden noch unbeschrittene Wege gesucht und auch eingeschlagen, gegangen – und dann ebenso leicht wieder verlassen. Dass dabei Denkmuster und lieb gewonnene Sicherheiten zurück gelassen werden, kommt der Frische und Lebendigkeit dieser Werke zweifellos zu Gute.

Dennoch aber bedeutet dies keineswegs, dass sich die Künstlerin ihrem bisherigen Schaffen verschließt oder dieses im Sinne einer Überwindung hinter sich läßt. Nein – Älteres steht gleichberechtigt neben Neuerem. Grundhaltung, Grundgedanken bleiben bestehen, ja verdichten sich weiter. So weit aber eben Altes fürs Erste formal und technisch ausgereizt scheint, so gesellt sich Neues dazu – zur Befruchtung, zur Weiterführung, Weiterentwicklung von bereits Erreichtem. Und zur Schärfung von Ideen und Eingebungen.

Die künstlerische Handschrift von Christa-Luise Riedel wandelt sich, aber sie bleibt stets erkennbar – gerade auch in der Vielfalt und im Reichtum, in ihrer enormen Fülle geht sie nicht verloren: Verbindend ist die Leichtigkeit im Umgang mit der eigenen Offenheit, die Kreativität des Gedankenwerks, eine lockere Hand, leichter Strich, Mut zur Fläche und die Freiheit des ideellen Impetus. So darf man sich stets aufs Neue überraschen lassen, in welchem Material, in welcher Form die Künstlerin ihre und zwar dezidiert ihre eigene Auseinandersetzung mit Fragen menschlichen Seins und Wirkens fortsetzen wird.

Dem großen Gestus der farbigen Kreise, archaischen Himmelsritzungen verwandt, stehen nun nicht mehr zarte Zeichnungen gegenüber, sondern konkrete „Einschläge“, Bilder irritierender Flächigkeit, in dissonanten Farbmustern, mit stumpfen Akzenten. Gegensätze werden darin thematisiert – neuerliche Kraftstösse, diesmal mitunter von einer überraschenden Härte in Schwarz und Grau.

Ein oranges Raster erhält in der Mitte fünf graue Vertikalen und den Titel „Ungleich-gleich“ – es ist ein Spiel mit der Balance, mit Farbwerten, Formgefühl, mit Qualitäten von Tiefe und Temperierung. Als neue Dimension im Werk der Künstlerin erhält so die Sprache der konkreten Kunst ein Podium. Und es ist gerade auch ein Spiel damit: „Ehcarps“ wird ein Triptychon mit zwei weißen Flügeln, horizontal durch braun-rote Striemen geteilt und einem Mittelfeld in wolkig-geschwämmeltem Braun-Rot geheimnisvoll betitelt.

Ein Rätsel? Ein Scherz? Zumindest ein Palindrom ist es – „Sprache“ liest man rückwärts. Ob damit gerade die vermeintliche Unverständlichkeit der Kunst, oftmals auch ihre Sprachlosigkeit angesprochen ist? Zumindest findet in diesem Triptychon die Verschlüsselung selbst auf bestechende Art und Weise statt. Und die Entschlüsselung gelingt zwar bezüglich der Buchstabenfolge, doch wie steht es mit den Farbflächen, ihrer Spannung, der Dreiteiligkeit dieses Wortbildes? Symmetrie und Abwechslung, Hartes und Weiches, kraftvolle Fülle und schlichte Leere prallen da zusammen, ergeben ein Ganzes. Wortlos, dies gewiss, aber doch keineswegs ohne Sprache!

Der Hang zur Mehrteiligkeit, zum Zyklus, der sich in „Ehcarps“ offenbart, findet seine Fortsetzung in neuen plastischen Werken der Künstlerin. Hatte sie noch vor wenigen Jahren ihre „Gedankenentwicklung“ als beidseitig bemaltes Segel in den Raum gehängt, so hat sich diese Idee weiter verfestigt und gleichsam materialisiert. Es stehen nun zwei schlichte Holzstelen im Raum, deren Seiten unterschiedlich mit vertikalen Streifen bemalt sind: Grenzpfählen gleich, Markierungszeichen – Denkmäler der Präsenz künstlerischer Positionen im offenen Raum. Das Spiel von Fläche und Tiefe, das Interesse an den Dimensionen räumlichen Daseins und Erlebens wird immer weiter ausgelotet. Mit diesen Stelen besetzt Christa-Luise Riedel die Ausstellungsräume und weist sie als von ihr in Besitz genommen aus. Wie Masten gliedern sie die Säle und lenken den Blick auf das, was an flachen, zweidimensionalen Werken den Raum einfaßt und weiter definiert.

Zwei Materialien sind es, die Christa-Luise Riedel im Werk der letzten Monate offensichtlich besonders faszinierten, inspirierten und zur Auseinandersetzung anregten: unterschiedlicher Sand sowie Wabenstrukturen aus Papier. Das zuvor bevorzugte Acrylglas findet dagegen im Moment nicht mehr das Interesse, seine Anziehungskraft als Zeichenträger ist vorläufig erschöpft. Das raumgreifende Gestaltungsbedürfnis der Künstlerin erfordert stärker haptische Materialien, plastische Elemente. Sand unterschiedlicher Herkunft, aufgespannte Baumwollgewebe und Papierwaben bieten einen neuen Ausgangspunkt für das Werk Christa-Luise Riedels.

Schon in früheren Werken ließ die Künstlerin afrikanische Impressionen in ihr Werk einfließen: Ihre Begeisterung für den schwarzen Kontinent brachte sie in der Wahl von Materialien, Farben und Formen zum Ausdruck. Nun arbeitet sie mit Sand aus Afrika, mit Sand aus der Wüste Namib. Flimmernde Hitze, sanfte Weite, Trockenheit, einzigartige Schönheit, Faszination für das Wüstenlicht – von allem bergen diese Sandkörner etwas in sich, womit die Künstlerin nun eigene Bildschöpfungen entwickelt: Wüstenflächen, darauf die braunen, schwarzen, roten Waben als Körper, Hüllen, Augen. Behausungen im Sand? Spuren des Lebens in der Wüste Namib? Oder nur Sehnsüchte danach?

An Gehäuse und Lebensräume erinnern jedenfalls auch andere Wabenformationen in den neuen Werken Christa-Luise Riedels: Wabenreliefs auf Baumwollflächen; unterschiedlich geformte Wabenreliefs, mit Farbe in unterschiedliche Bedeutungszusammenhänge gestellt. Das von Bienenwaben, den Lebenskammern und Honigspeichern von Bienenvölkern abgeleitete und in Papier verfestigte sowie verfremdete Material ist heute nicht nur in der Industrie eine vielfach eingesetzte Stabilitätsstruktur, sondern wirkt selbst auch als eine symbolisch aufgeladene Formation: In ihrer Kompaktheit, Dichte und Funktionalität steht sie mit ihren unmittelbar aneinander stoßenden und unendlich reproduzierbaren sechseckigen Waben pragmatisch für eine ideale Teilung und Nutzung von Fläche und Raum.

In ihrer materialbedingten Beweglichkeit – sei es Wachs oder Papier – stehen die Waben aber auch für die Fragilität und Deformierbarkeit der in den Waben gefaßten Lebensräume. Die Bedrohung solcher Lebensräumen ist damit ebenfalls eine Aussage, die die Wahl dieser Form bedingte. In ihren Werken bringt die Künstlerin dies zum Ausdruck: sie knickt, drückt, formt, gestaltet die Waben und gibt ihr feste körperhafte Definitionen, die sie durch ihre Interventionen aber gleichzeitig auch wieder in Frage stellt.

Werden, Sein und Vergehen stellt die Künstlerin in ihren neuen Assemblagen dar. Seien es Ausflüsse aus Wabenformationen, sei es ein „Versteck“ im Innern eines Wabenfeldes, ein von Waben eingefaßtes Farbfeld. Das faszinierende Material wird immer wieder neu beansprucht und verarbeitet, auf Gemäldecollagen, als Hängeplastik oder als raumgreifende Standfigur. Besonders dynamisch ist das Werk „Rotation“: in einer roten Scheibe dehnt sich vom Mittelpunkt aus ein weißes Wabennetz aus, das scheinbar zum Rotieren gebracht werden kann. Das Zentrum ist dabei schwarz-rot. Die Interpretation als Lebenskreis, Lebensstrudel liegt nah. Die Waben können dabei als Lebensnetz gelesen werden, das Rot als bestimmende Kraft, als das Blut, das um diese Waben herum zirkuliert und diese zu erfüllen sucht, sie belebt.

Andere Formationen mit Wabenelementen sind auf den ersten Blick weniger zwingend, so eine Kreuzform, in Blau getaucht, oder als frei stehende Scheiben im Raum, skulptural, transparent. Doch auch da, beim vertiefenden zweiten Blick, entfaltet das neue Material eine eigene Wirkungskraft, die interessiert und besticht. „Epalat“ heißen mit Sand bestreute Wabenskulpturen. „Schlupflöcher“ erinnern an den Ursprung der Wabenfiguration, an den Ursprung von Leben, der damit verbunden ist. Konsequent ist da der Inhalt aus dem Material und der ihm innewohnenden Qualität heraus gearbeitet und stilisiert worden. Ähnliches gilt für die plastischen Werke mit dem Titel „Sedimentation“: Hier dient die Wabenstruktur als Mittel, um morphologische Schichten der Schöpfung und letztendlich bezogen auf die menschliche Dimension sichtbar zu machen – Gedanken, die sich setzen, Bilder, die sich festigen und dazu führen, dass daraus neue Ideen, neues Leben wächst.

Ebenso eindrücklich wie befremdlich erscheint mitten in diesem lebensvollen Umfeld dann das quadratische Bild „Verschlammter Kopf“ von 2004–2005: In einer grauen Sandfläche, in stumpfes Nichts eingebettet ist darauf ein braun umrissener Kopf dargestellt, grau mit orangen Linien, in ein Netz verstrickt und verkapselt. Er ist Anklage und Mahnung zugleich und beängstigend perspektivlos. Wären da nicht die warmen Farben des verbliebenen Gedankennetzes in und über diesem Kopf, so bliebe an diesem Punkt wenig Hoffnung übrig, dass dieser Schlamm durchdrungen, überwunden, abgewaschen werden könnte.

Man ist froh, dass dem „Verschlammten Kopf“ gegenüber in den Werkpaaren „Aufleben“ und „Ableben“ oder „Zuneigung“ andere Kräfte wirksam erscheinen. Bei „Ableben“ und „Aufleben“ sind es die durch einfache Windung von Wabenrollen bewirkten dynamischen Momente von Lebensprozessen, im Falle von „Zuneigung“ sind es Wabenkörper, die mit abstrahierten Augen bemalt und kaum geformt noch in der sachten Bewegung das im Titel angesprochene Gefühl zum Ausdruck bringen. Sie strahlen eine wohltuend positive Kraft aus – und sind gerade durch ihre Beschränkung auf ein Minimum an Gestaltung, durch ihre höchst reduzierte Abstraktion von einer Konzentration, die sachte an wesentlich verspieltere Werke der Moderne erinnern, etwa an Plastiken von Alexander Calder, Jean Arp und Sophie Taeuber. Es ist ein stiller und stummer, aber zutiefst harmonischer Tanz, in dem „Zuneigung“ in einer bestechenden Innigkeit zum Tragen kommt.

Mit ihren neuen Arbeiten hat Christa-Luise Riedel ihrem künstlerischen Werk, das in fruchtbarer Weise einem steten Wandel unterworfen ist, weitere Facetten hinzu gefügt – Ideen, Gedanken, Ergebnisse künstlerischer Prozesse, die man nicht missen möchte. Erneut stellte sie sich mit ihren Fragen aktuellen Problemen: In der für sie bezeichnenden, für Formen und Ausdrucksweisen so sehr offenen Haltung hat sie sich intensiv mit dem weiten Feld von Lebensräumen und der sie bedrohenden Fragilität beschäftigt, Antworten versucht, weitere Fragen gestellt. Ein Abschluß solcher Auseinandersetzungen freilich ist noch längst nicht in Sicht, ja scheint unmöglich – das Werk der Künstlerin ist weiter im Fluß. Die nächste Transponierung kündigt sich schon an. Man darf gespannt sein.